Draconis Memoria hat Anthony Ryan seine neue Trilogie genannt. Durch das Latein klingt es nach einer altmodischen Geschichte. Doch „Das Erwachen des Feuers“ ist moderne Fantasy und weit entfernt von klassischen Fantasy-Stoffen, die sich technologisch am Mittelalter orientieren.
Als Spionin für das Eisenboot-Handelssyndikat ist Lizanne Lethridge ständig auf der Hut vor Agenten des Corvantinischen Kaiserreichs. Für ihre Chefin Madame Bondersil soll sie Hinweise auf den Aufenthaltsort eines weißen Drachens finden. Dass es Clay sein wird, der auf die Suche nach dem weißen Drachen geht, ahnt dieser zu diesem Zeitpunkt nicht. Er plant noch seine Flucht aus dem Blinden Viertel von Kerberhafen, in dem er sich als Kleingangster durchschlägt. Derweil tritt Corrick Hilemore als Zweiter Leutnant seinen Dienst auf der „Gute Gelegenheit“ an, nichtsahnend, dass er mit dem Schiff der Marine des Eisenboot-Handelssyndikats bald mehr als Piraten jagen wird.
„Das Erwachen des Feuers“ und die Klassiker
Für „Das Erwachen des Feuers“ von Anthony Ryan lassen sich klare literarische Vorbilder benennen – zumindest was Teile der Geschichte angeht. Die Suche nach dem weißen Drachen etwa ist klar an Moby Dick von Herman Melville angelehnt, wobei Madame Bondersil und Braddon Torcreek, der Onkel von Clay, in ihrem Wahn an Kapitän Ahab erinnern. Die Reise zu den Roten Sanden auf der Suche nach dem mythischen Drachen erinnert hingegen eher an „Das Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad. Das zeigt sich an den Naturbeschreibungen, den Begegnungen mit dem vom Wahnsinn befallenen Verderbten und der Flussfahrt. An den britischen Landsmann Ian Flemming und seinen James Bond wiederum sind die ersten Kapitel aus der Sicht von Lizanne eine Reminiszenz – dass es sich um eine Agentin handelt und nicht einen Mann, zeigt, Anthony Ryan modernisiert auch hier.
Dabei kommt der Fantasy-Anteil aber nicht zu kurz. Die Blutgesegneten, die aus dem Blut von grünen, roten und schwarzen Drachen verschiedene magische Fähigkeiten beziehen, spielen eine große Rolle im Buch. Zwei der drei Hauptfiguren gehören zu den Magiebegabten. Zugleich sorgt der technologische Fortschritt in „Das Erwachen des Feuers“ für einen gewissen Ausgleich. Anthony Ryan hat seine Fantasy-Welt an das 19. Jahrhundert angelegt. Das heißt: Schusswaffen, Artillerie und gepanzerte Schlachtschiffe sind erfunden. Wobei das von Händlern regierte Eisenboot-Syndikat und das Kaiserreich sich in einem Flottenwettrüsten befinden, bei dem Antriebe eine große Rolle spielen. England und Deutschland stehen hierfür zum Teil Pate.
Anthony Ryan und die Draconis Memoria
Es ist ein sehr reizvolles Setting, das Anthony Ryan gewählt hat. Auch die Geschichte ist überzeugend: Denn bei allem technologischem Fortschritt sind die Menschen vom Rohstoff Drachenblut abhängig (als Analogie zum Erdöl). Der weiße Drache verspricht große Vorteile, entpuppt sich jedoch als Feind der Menschen und zumindest ebenbürtiger Gegner. Die Hauptfiguren stehen im ständigen Überlebenskampf (was für viel Action sorgt), versuchen dabei aber auch ihre Welt zu retten. Anthony Ryan schafft es so, die High-Fantasy weiter zu modernisieren. „Rabenschatten“ war enger an klassische Fantasy angelehnt, dabei aber realistischer und düsterer. Mit „Das Erwachen des Feuers“ dreht Ryan die Modernisierungsschraube weiter.
Bleibt zu hoffen, dass viele Leser Ryans Weg folgen mögen. Das großartige Fantasy-Werk (mit nur wenigen Schwächen) geht nämlich weiter. Draconis Memoria 2 trägt im Original den Titel „The Legion of Flame“ und ist im Sommer 2017 erschienen. 2018 sollte also die deutsche Fassung erscheinen. Update: „Das Heer des weißen Drachen“ ist mittlerweile übersetzt.
„Das Erwachen des Feuers“ von Anthony Ryan ist bei Klett-Cotta erschienen. Draconis Memoria 1 geht in der gebundenen Ausgabe über 725 Seiten und kostet 25 Euro, das E-Book 19,99 Euro. Die Übersetzung stammt von Birgit Maria Pfaffinger und Sara Riffel.
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