Woher kommt er nur, der Trend zu Vergewaltigungsszenen in Fantasy-Romanen? In zahlreichen Büchern aus dem anglo-amerikanischen Raum, die es auf den deutschen Markt schaffen, gibt es mindestens eine solche Szene. Seien es Joe Abercrombie, Brent Weeks oder Steven Erikson, seien es Autorinnen wie Glenda Larke oder Lara Morgan – bei ihnen allen werden Frauen zum Sex gezwungen.
Wie genau diese Gewaltakte beschrieben werden, ist unterschiedlich. In allen Fällen sind die Frauen klar als Opfer erkennbar. Auffällig ist jedoch, dass die männlichen Autoren eher dazu neigen, die Szenen ausführlicher zu gestalten, während die Autorinnen die Vergewaltigung eher knapp halten und sich stärker und schneller auf das Innenleben und die seelischen Verletzungen der weiblichen Charaktere konzentrieren, um so die Empathie mit dem Opfer deutlich zu machen.
Unabdingbarer Bestandteil der Handlung sind die Vergewaltigungen eher nicht, vielmehr dienen sie dazu, zu zeigen, wie rechtlos und rauh die Gesellschaft in Fantasy-Welten ist und dazu, Charakteren mehr Tiefe und Raum für Entwicklung zu lassen.
Stehen die Vergewaltigungen für einen Trend zum Realismus?
Es drängt sich zudem der Eindruck auf, als ständen die Vergewaltigungsszenen für die gestiegene Nähe des Fantasy-Genres zur realen Welt. In einer Welt, die vom Mittelalter, Antike, Renaissance oder Neuzeit inspiriert ist, müssen Frauen wohl – bei aller oft in Fantasy-Romanen gespiegelten Emanzipation – Opfer sexueller Gewalt werden, da diese Verbrechen in jeder Gesellschaft vorkommen.
Die Täter können dabei aus der Familie kommen, wie in Peter Bretts „Das Flüstern der Nacht“, wo der Autor sexuellen Missbrauch durch einen Vater thematisiert. Sexuelle Gewalt kann aber auch als Zeichen von Dominanz eingesetzt werden, wie in „Der Verrat der Drachen“ von Lara Morgan. Besonders weit gehen hier Brent Weeks und R. Scott Bakker. In der Schattentrilogie von Weeks dient sexuelle Erniedrigung der Festigung von Machtstrukturen in einer jugendlichen Diebesbande, die Erfahrungen realer Straßenkinder dürften dem amerikanischen Autor bekannt gewesen sein. Bei Bakker gehört das Vergewaltigen zum Krieg dazu und ist eine Waffe, die zur Erniedrigung unterlegener Krieger (Ikurei Conphas) eingesetzt wird. Auch für diese Idee gibt es reale Vorbilder.
Bedarf es wirklich der drastischen Schilderungen oder würden Andeutungen nicht ausreichen? Ein Heinrich von Kleist kam vor 200 Jahren noch mit einem Gedankenstrich als Zeichen für eine Vergewaltigung aus. Tabus, die mit genauen Schilderungen zu brechen wären, gibt es auch nicht mehr. Für zarte Gemüter ist dieser Trend in Fantasy-Romanen sicher nichts. Andererseits braucht es in einem Genre, das von Erwachsenen gelesen und geliebt wird auch nicht ausgeklammert zu werden.