Das Fantasy-Jahr 2011 – ein kurzer Rückblick

Mitte Dezember, wenn bereits die ersten Neuerscheinungen für den Januar 2012 ausgeliefert werden, ist die Zeit für einen Rückblick auf das Fantasy-Jahr 2011 gekommen. Um es vorwegzunehmen: Es gab einige starke Titel, doch auch ein paar Enttäuschungen.

Höhepunkte des Fantasy-Jahrs 2011

Zu den Höhepunkten des Fantasy-Jahrs zählten die beiden Bände von Ken Scholes, in denen er dem Psalm von Isaak weitere Strophen hinzugefügt hat – und die stellten auch anspruchsvolle Leser zufrieden. Schwieriger zu beurteilen ist „Die Furcht des Weisen“ von Patrick Rothfuss. Dass er ein starker Erzähler ist, dürfte unbestritten sein, wie gut die Geschichte ist, wird wohl erst mit Teil 2 von Teil 2 im nächsten Jahr deutlich. Freunde der komplexeren Fantasy hatten darüber hinaus Freude am Mittelteil von Acacia, der David Anthony Durhams Qualitäten gezeigt hat.

Mehr Action versprachen Joe Abercrombie und Brent Weeks. „Big Joe“ fand mit „Heldenklingen“ zu alter Stärke zurück und zeigt, dass er zu herausragender Schlachtbeschreibung fähig ist. Weeks wiederum beginnt seine Licht-Trilogie schwungvoll, sodass man auf die Fortsetzung „The Blinding Knife“ gespannt sein darf. Spannung versprechen auch die „Sturmlicht-Chroniken“ von Brandon Sanderson. Der Auftakt mit dem „Weg der Könige“ und dem „Pfad des Windes“ gelang – mit den weiteren Bänden muss Brandon Sanderson zeigen, ob er zum Schreiben einer wirklich großen Saga fähig ist.

Nicht vergessen sollte man die deutschen Autoren im Fantasy-Jahr 2011. Susanne Gerdom brachte eine kleine und feine Drachengeschichte mit „Elidar“ auf den Markt, starke historische Anklänge hat hingegen der ordentliche „Drachensturm“ von Torsten Fink.  Und Tobias O. Meißner gelang es, mit „Die Soldaten“ einen Anti-Kriegs-Fantasy-Roman zu schreiben.

Enttäuschend hingegen das Debüt von Col Buchanan, sein „Farlander“ überzeugte ebenso wenig wie „Die Metropole der Diebe“ oder der etwas leblose „Pfad der Seelen“. Alexey Pehovs „Schattentänzer“ – Abschluss der „Chroniken von Siala“ – blieb ebenfalls hinter den Erwartungen zurück.

Ausblick auf das Fantasy-Jahr 2012

Gefehlt hat 2011 ein weiterer Band von Steven Eriksons grandiosem „Spiel der Götter“ – glücklicherweise hat das Warten auf Band 14 im August 2012 ein Ende. Blanvalet setzte auf die Neuauflage des „Liedes von Eis und Feuer“, die rechtzeitig zur Veröffentlichung des „Sohns des Greifen“ komplett vorliegen sollte. So ist der Ausblick auf 2012 positiv, denn neben den neuen Büchern von Erikson und G.R.R. Martin kommt ja noch der Nachklapp zu Patrick Rothfuss‘ „Die Furcht des Weisen“, steht ein neuer Daniel Abraham alias Hanover vor der deutschen Veröffentlichung und könnten neue Titel von Brent Weeks, Peter Brett und Ken Scholes erscheinen. Wenn jetzt noch ein R. Scott Bakker und ein G.G. Kay dazukämen …

Ken Scholes singt das Hohelied der Intrige

Cover von Hohelied

Ken Scholes: Hohelied

Rudolfo, der Herr der Neun Häuser der Neun Wälder, hat sich entschieder seine Familie zu retten.  Und sein Sohn Jakob entwickelt sich gut. Doch der Frieden in den Benannten Landen ist längst nicht gesichert. Denn bereits lange vor Rudolfos Geburt wurde eine Intrige geschmiedet, die die Welt verändern sollte. Die ersten Schritte wurden mit der Verheerung von Windwir sichtbar, weitere mit der Vernichtung des Hauses Tam und des Aufstands des Sumpfvolkes. Doch vieles ist ungeklärt geblieben: Was hat es etwa mit den Mechoservitoren auf sich, die die verborgene Bibliothek Sanctorum Lux niedergebrannt haben?

In „Hohelied“, dem dritten Teil der „Legende von Isaak“, wird die Zwiebel weiter gehäutet, kommen weitere Schichten der Intrige zum Vorschein, die sich Ken Scholes für seine Reihe überlegt hat. Doch auch wenn Blanvalet auf der Verlagsseite (Stand 2.10.2011) bereits den krönenden Abschluss der Saga ankündigt, handelt es sich bei der „Legende von Isaak“ nicht um eine Trilogie. Ken Scholes hat fünf Bände angekündigt, Band 4 und 5 tragen die Titel „Requiem“ und „Hymn“. Das lässt viele traurige Ereignisse vermuten, ehe es ein gutes Ende nimmt.

Das Hohelied des Kehrverses

„Hohelied“ heißt im Original „Antiphon“, also wörtlich Gegengesang. In der Kirchenmusik handelt es sich bei einem Antiphon um einen Kehrvers, der nach den Versen eines Psalms gesungen wird. Der Kehrvers erläutert den Psalmvers und rückt die zentrale Botschaft der Bibelstelle in den Vordergrund. Übertragen auf „Hohelied“ ist also zum einen eine Reaktion auf die Ereignisse zu erwarten (ein Gegengesang zum Lobgesang), zum anderen könnte die zentrale Botschaft der Widersacher Rudolfos und der Seinen deutlich werden. Es dürfte also spannend werden in den Benannten Landen und den mahlenden Ödlanden.

„Hohelied“ von Ken Scholes ist ab Mitte Oktober 2011 im Handel. 15 Euro kostet die Ausgabe im Klappenbroschur mit ihren 544 Seiten. Die Übersetzung stammt, wie bereits bei „Sündenfall“ und „Lobgesang“ von Simone Heller.

Das Böse in der Fantasy

Das Böse – es ist schwer zu fassen. Aktuell versuchen drei Bücher zu definieren, was das Böse in seinem Kern ist, was es ausmacht, was es charakterisiert. Glaubt man Burkhard Müller und seiner Rezension in der Süddeutschen Zeitung, scheitern alle drei Autoren, die es im Format eines Sachbuchs probieren. Auch Müller selbst kommt am Ende nicht weit; Stephen King und sein Alien in „Es“ müssen am Ende für eine Definition des Bösen herhalten.

Dabei ist an „Es“ die Auflösung eigentlich das Langweilige, verliert das Böse seinen Zauber und wird banal, gerade wie es Müller an den drei Autoren kritisiert. Die phantastische Literatur hat viel bessere Versionen des Bösen zu liefern, und besonders die Fantasy tut sich in diesem Punkt hervor.  Das Böse ist in erster Linie die Versuchung, die Verführung und die Verlockung. Klassisch steht dafür in der Fantasy der Ring, den Frodo in Mordor vernichten soll. Gandalf, Galadriel und alle klugen Helden Mittelerdes widerstehen dem Bösen, indem sie es ablehnen, den Ring zu übernehmen. Und selbst der reine (und in der Verfilmung so weinerliche) Frodo ist dem Bösen des Rings am Ende ausgeliefert, sodass nur die Gier des Gollum am Ende die Katastriophe verhindert. Doch dann gibt es da noch Sauron, der ganz märchenhaft klassisch, für das Böse steht – unterwerfen und herrschen will er sowie die bisherige Ordnung zerstören und ablösen.

Das Böse in der Fantasy ist vielfältig

In modernen Fantasy-Romanen ist das Böse oft viel exotischer. Es müssen gar keine Aliens, Monster und Dämonen gefunden werden, die vom Leid der Menschen leben. Das Böse entsteht aus einer Position der Stärke und Allmacht, wie etwa bei Joe Abercrombie, bei dem vor allem der Gegenentwurf – also das Gute – fehlt. Oder es ernäht sich vom Hass der Unterdrückten, Diskriminierten und Verstoßenen wie bei Ken Scholes und David Anthony Durham. Manchmal ist es auch nur eine Frage der Perspektive, wie N.K. Jemisin es meisterhaft zeigt, was Gut und was Böse ist.

Am stärksten aber bleibt das Böse, solange es undefiniert bleibt. Die Macht des Unbekannten fördert die Angst vor dem Bösen. Es zu fassen, bedeutet häufig, es zu banalisieren. Das mag ihm zwar die Fanszination nehmen und beim Einzelnen auch die Angst vor dem Bösen – doch am Ende wird es langweilig, fad und alltäglich. So, als würde das Böse in jedem von uns stecken. Was vielleicht stimmt, am Ende aber eine ziemlich banale Erkenntnis wäre.

Ein Lobgesang auf Ken Scholes

Cover von Lobgesang

Ken Scholes: Lobgesang

Der Amerikaner Ken Scholes legte 2010 eines der spannendsten Debüts hin. „Sündenfall“ bestach nicht nur mit einem interessanten Setting (einer apocalyptischen Welt), sondern auch mit reizvollen Charakteren und einer spannenden Handlung. Und die Legende von Isaak (Psalms of Isaak) geht weiter. Fünf Bücher soll die Reihe einmal umfassen – der zweite Band trägt den deutschen Titel „Lobgesang“, eine wörtliche Übersetzung des Originals „Canticle“.

Die biblischen Bezüge bleiben also bestehen, auch wenn der Orden der Franziner offiziell aufgelöst ist und es damit keine Kirche mehr in den Benannten Landen gibt. Hüter des gesammelten Wissens der Welt ist Rudolfo, der Herr der neun Häuser der neun Wälder. In seinem Land soll die neue Bibliothek entstehen, die Isaak aufbaut, der Metallmann mit menschlichen Zügen. Doch der Frieden in den Benannten Landen ist brüchig. Rudolfos Residenz wird überfallen. Ausgerechnet beim Geburtsfest für seinen Sohn dringen Attentäter ein und beschämen die Zigeunerspäher des Herrschers. Und dann ist da noch der Mechoservitor, der mit einer Botschaft an den Hüterwall gekommen ist …

Auch „Lobgesang“ verspricht große Spannung. Das Personal ist aus „Sündenfall“ noch gut in Erinnerung, nicht nur Rudolfo, Petronus und Neb sind dabei – auch die Familie Tam mischt noch mit.

„Lobgesang“ ist bei Blanvalet erschienen und hat 576 Seiten. Die Übersetzung stammt von Simone Heller. Das Fantasy-Buch kostet 15 Euro.

Der Sündenfall von Ken Scholes

Cover von Südenfall

Ken Scholes: Sündenfall

Besser spät als nie: Aus den USA kommt mit „Sündenfall“ mal wieder ein sehr origineller Fantasy-Roman. Es handelt sich dabei um das Debüt von Ken Scholes, einen Namen, den es sich zu merken lohnt. Zumal – diese gute Nachricht sei vorweg geschickt – „Sündenfall“ der erste von fünf Bänden in der Reihe „Die Legende von Isaak“ ist.

Der Fantasy-Roman beginnt mit einem Paukenschlag: Über Windwir, dem geistigen und politischen Zentrum der Benannten Lande, bricht die Apokalypse herein. Die Stadt wird zerstörrt, alle Einwohner getötet. Die zu Hilfe eilenden Heere aus den Neun Wäldern, angeführt von Rudolfo und aus dem entrolusischen Delta unter Sethbert kommen zu spät. Als Rudolfo jedoch den Metallmann Isaak kennenlernt, wird ihm klar, dass Sethbert und seine Armee bereits vor dem Unglück aufgebrochen sind. Haben die Androfranziner in Windwir das Unglück doch nicht über sich selbst gebracht?

544 Seiten dick ist „Sündenfall“. Der Fantasy-Roman von Ken Scholes ist bei Blanvalet erschienen, in der Übersetzung von Simone Heller, und kostet 15 Euro. „Lamentation“ (das Wehklagen) lautet der Originaltitel und spielt wohl auf das biblische „Book of Lamentations“, in dem es um den Untergang Jerusalems geht, an. Insofern ist die religiöse Konnotation im deutschen Titel gut getroffen.