Vaelin Al Sorna hört das Lied des Blutes. Diese mächtige magische Gabe muss er jedoch geheimhalten, da dunkle Gaben den Doktrinen des Glaubens widersprechen. Und doch nutzt Al Sorna seine Fähigkeiten und erwirbt sich mit ihrer Hilfe mehrere Namen: Rabenschatten, Dunkelklinge, Junger Falke und schließlich Hoffnungstöter. Als solcher gerät er in Gefangenschaft des Kaiserreichs, dessen Hoffnung er in Gestalt des Kronprinzen getötet hat. Doch statt ihn hinzurichten, befiehlt der Kaiser, dass Vaelin zur Rettung der Witwe des getöteten Erben einen Zweikampf ausfechten soll. Auf der Reise zum Duell erzählt der Rabenschatten dem bekanntesten Historiker des Reiches seine Lebensgeschichte.
Ryan und das Lied des Blutes
Anthony Ryans „Das Lied des Blutes“ bringt gute Voraussetzungen mit ein Erfolg zu werden. Mit der Anspielung im Titel auf „Das Lied von Eis und Feuer“, der derzeit erfolgreichsten Fantasy-Serie, und der Konstruktion, dass der Protagonist seine Lebensgeschichte einem Chronisten diktiert – von Patrick Rothfuss mit Kvothe erfolgreich vorgemacht – sprechen gleich zwei Faktoren viele Fantasy-Leser an (und auch solche, die nur gelegentlich zu Büchern des Genres greifen).
Doch das würde nicht ausreichen, wenn Anthony Ryan zur Verpackung seiner Rabenschatten-Bücher nicht auch einen passenden Inhalt gefunden hätte. Gekonnt variiert er die bekannten Motive wie das eines Jungen, der in einem Orden aufwächst und zu einem gefürchteten Schwertkämpfer heranwächst. Bei Ryan stehen nicht die üblichen Probleme eines Heranwachsenden im Vordergrund, auch wenn Freundschaft und Liebe auch in „Das Lied des Blutes“ große Bedeutung haben. Es geht mehr darum, wie Vaelin in die Rolle hereinwächst, die ihm verschiedene Seiten zugedacht haben: sein Vater, sein Ordensmeister und sein König.
Die Welt des Rabenschatten
Der Rabenschatten wächst also in eine Welt der Intrigen hinein. Diese spinnt Ryan durchaus kunstvoll, doch an mancher Stelle handelt sein Protagonist reichlich naiv – gerade für jemanden, der seit seiner Kindheit von Intrigen und Machtspielen umgeben ist. Doch inwieweit man als Leser dem Bericht von Vaelin Al Sorna trauen kann, bleibt auch offen. Denn in jedem Fall erfahren sie mehr als der Chronist, wie am Ende deutlich wird. Anders als bei der Königsmörder-Chronik von Rothfuss spielt Ryan aber weniger mit der Rolle des Erzählers, sodass dieser Punkt vielleicht keine so große Bedeutung hat.
Ryans Stärken liegen mehr darin, dass er viele differenzierte Charaktere erschaffen hat, die nicht nur gut beschrieben sind, doch in die man sich gut hineinversetzen kann, auch wenn die Erzählperspektive bei Vaelin und dem Chronisten bleibt. Ebenfalls gelungen ist die Einführung in die Fantasy-Welt der Vereinigten Königsland und des Alpiranischen Reiches. Sie orientiert sich an spätmittelalterlichen Vorbildern. Ryan überfrachtet sie nicht mit fremden Begriffen und Bräuchen, sondern geht dort ins Detail, wo es der Geschichte dient. Auch variiert er gut zwischen actionreichen und ruhigeren Passagen.
Die Lektüre von „Das Lied des Blutes“ weckt Vorfreude auf den nächsten Band. Im Original ist „Rabenschatten 2“ bereits erschienen. „Tower Lord“ ist der Titel der Fortsetzung. Auf welche Person der Titel anspielt, wird nach der Lektüre von Band 1 klar. Und da Ryan einen Vertrag über drei Bücher abgeschlossen hat, dürfte die Geschichte des Rabenschatten noch weitergehen.
„Das Lied des Blutes – Rabenschatten 1“ von Anthony Ryan ist in der Hobbitpresse von Klett-Cotta erschienen. Die gebundene Ausgabe geht über 775 Seiten und kostet 24,95 Euro. Die Übersetzung stammt von Sara und Hannes Riffel.